“Ich stehe zum Zucker” Interview mit Philip Hitschler Becker in der LZ

Unter dem Titel „Ich stehe zum Zucker“ hat die Lebensmittelzeitung am 04.10.2019 ein Interview mit Philip Hitschler-Becker veröffentlicht. Ein Bericht von Sabrina Schadwinkel. Das gesamte Interview hier zum Nachlesen:

“Ich stehe zum Zucker”

Selbst Zucker-Bashing und Lebensmittelampeln können Philip Hitschler-Becker nicht die gute Laune verderben. In vierter Generation führt er den gleichnamigen Süßwarenhersteller bis in die USA.

Für die USA musste es ein anderer Name sein. „Hitschler ist für ausländische Konsumenten teilweise schwer auszusprechen und zu erinnern“, erklärt Philip Hitschler-Becker beim Rundgang durch die Produktion. Deshalb heißt die Marke dort nach seinem Verkaufsschlager – Hitschie’s. Seit eineinhalb Jahren verkauft der Kölner Süßwarenhersteller auch an der US-Ostküste seine Kaubonbons in Knallfarbe. Angesichts der „America-First“-Politik von US-Präsident Donald Trump steht „made in Germany“ vorsichtshalber auf der Rückseite der Verpackung. Dass der junge Unternehmer den Familiennamen hintenanstellt, ist die Ausnahme.

Auf dem Konferenztisch breitet der 31-Jährige Dutzende Schwarz-Weiß-Fotografien aus: der Großvater bei einer Hafenrundfahrt, bei einer Familienfeier, im Gespräch mit Handelsvertretern aus dem Nahen Osten. Die internationale Expansion hat der Großvater bereits in den 1970ern angestoßen. Heute ist Hitschler International in insgesamt 40 Ländern aktiv – von Osteuropa bis in die Vereinigten Arabischen Emirate. Jedes Bild nimmt Hitschler-Becker in die Hand, betrachtet es mit einem versonnenen Lächeln und erzählt von der Familie, der fast 90 Jahre währenden Unternehmensgeschichte. „Jeden Abend um halb zehn habe ich mit meinem Großvater telefoniert. Wir hatten eine innige Beziehung.“

Davon zeugt selbst das Mobiliar. Der kleine Besprechungsraum am Produktionsort in Michelstadt – im idyllischen Odenwald gelegen – hat sich seit dem Tod von Walter Hitschler vor neun Jahren kaum verändert. Dieser hatte noch mit 88 Jahren die Geschäfte als Alleininhaber geführt. Das rote Gemälde an der Wand, die Holzvertäfelung, das alte Tastentelefon, alles noch da.

Vor die Tür im Eingangsbereich hat sein Enkel und Nachfolger allerdings einen Tischkicker gestellt. Ein Stockwerk höher sind die Büros frisch umgebaut: Einkauf, Vertrieb, Qualitätssicherung sitzen in offeneren, lichtdurchfluteten Räumen. Die Schreibtische sind höhenverstellbar. Auch das „Du“ hat „der Philip“ eingeführt, sagt Produktionsleiter Dieter Lutz. New Work im Mittelstand.

Vor rund zwei Jahren hatte Hitschler-Becker externe Geschäftsführer an der Unternehmensspitze abgelöst. So mancher ist seitdem gegangen, aber auch von der größeren Konkurrenz gekommen. Stellenausschreibungen für einen nationalen Key-Accounter werden mit „Wir suchen einen Bubble-Gum-Schlüssel-Markt-Kundenpflege-Prozess-Repräsentier-Optimierer“ überschrieben. „Wir haben sogar eine Feel-Good-Managerin“, sagt Hitschler-Becker und zückt sein Handy. Gemeint ist seine Hündin Lotta, die er auch mit ins Büro nimmt. Auf dem offiziellen Instagram-Account sprintet sie mit einer Tüte Süßes im Maul durch den Flur. Nach der Arbeit bildet Hitschler-Becker sie für die Jagd aus. In der Natur, auf dem Hochsitz, könne er sich gut entspannen, erzählt er.

Einen Süßwarenhersteller zu führen, ist im aktuellen Klima nicht unbedingt ein Traumjob. Die Abneigung gegen Zucker ist in den vergangenen zehn Jahren extrem gestiegen, wie zuletzt die Nestlé-Ernährungsstudie 2019 zeigte. „Die Gesellschaft ist überzeugt, dass der Zucker sie gefährdet“, sagte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, bei der Präsentation der Ergebnisse. 46 Prozent der Befragten gaben an, beim Einkauf auf Lebensmittel mit wenig Zucker zu achten. 2008 waren es nur 26 Prozent.

„Die breite Masse wird nicht auf Zucker verzichten“, glaubt Hitschler-Becker, der Zucker als „Energielieferant und Glücklichmacher“ sieht. Einer farblichen Nährwertkennzeichnung wie Nutriscore sieht er gelassen entgegen: „Ich stehe zum Zucker.“ In seinem Sortiment finden sich vegane und halal-zertifizierte Produkte, aber bisher keine zuckerreduzierten Varianten. „Wir schauen uns auch Zuckerersatzstoffe an, eventuell wird es künftig ein, zwei solche Produkte geben.“

Dass die Deutschen weiter zu Naschkram greifen, zeigt ein Blick auf die Marktentwicklung: In den sechs Monaten bis Juni 2019 ist laut den Marktforschern von IRI der Absatz von Zuckerware insgesamt um 3,9 Prozent auf 185 109 Tonnen, der Umsatz um 1,2 Prozent auf 987,4 Millionen Euro gestiegen. Fruchtgummi und Kaubonbons sind hier die Wachstumstreiber, während etwa Schaumküsse und Lutscher schwächeln. Bei Fruchtgummi verschieben sich die Marktanteile aktuell zu Lasten von Haribo.

Neben den Familienfotos zeigt Hitschler-Becker auch eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Kindern vor einem Kiosk. „Die gemischte Tüte voller Schnüre, Speck und Brause-Ufos aus dem Schwimmbad ist für viele Teil der Kindheit“, sagt er. Doch Nostalgie reicht nicht zum Überleben: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ In seinem Sortiment glitzert es neuerdings in Pastell- und Perlmutt-Tönen: Hitschies in der Meerjungfrauen-Edition.

„Wir wachsen seit vier Jahren kontinuierlich“, sagt der Kölner Jungunternehmer. 2018 habe sein als Hitschler International firmierendes Unternehmen rund 55 Millionen Euro umgesetzt. In Modernisierung und Automatisierung der Produktion plant er in den kommenden Jahren einen hohen siebenstelligen Betrag zu investieren.

Im Schadenersatzverfahren gegen die Zuckerkartellanten ist ein langer Atem gefragt: „Die verschiedenen Verfahren scheinen sich insgesamt zu ziehen. Wir haben entschieden, uns auf unser Tagesgeschäft zu konzentrieren“, sagt Hitschler-Becker.

Die Herstellung gegossener Fruchtgummis à la Haribo und Katjes bezeichnet er als kurzzeitigen Exkurs, der beendet sei. Vielmehr setzt der Nischen-Player auf „weltweit einzigartige“ Produkte wie seine Hitschies. Nach eigener Aussage werden davon jedes Jahr mehr als eine Milliarde konsumiert. Das weckt offenbar Begehrlichkeiten. Zuletzt flog auf der internationalen Süßwarenmesse ISM ein türkischer Anbieter mit Plagiaten auf.

Für Hitschler-Becker stand schon immer fest, dass er ins Unternehmen einsteigt: „Mein klares Ziel war, mit 30 hier zu sein.“ Zunächst hat er in Maastricht und Australien Betriebswirtschaft studiert, danach im Vertrieb und Marketing von Danone und Iglo gearbeitet. Er ist der einzige aus der Familie, der operativ tätig ist. Seine jüngeren Geschwister haben sich für andere Karrierewege entschieden. Sein Vater, der im Unternehmen tätig war, ist bereits verstorben.

„Die Hitschler-Family ist mir sehr wichtig“, sagt der 31-Jährige und meint damit auch seine Mitarbeiter. Er möchte ein Chef zum Anfassen sein, der anpackt – und für gute Laune sorgt. Zwei zusätzliche Urlaubstage hat er seinen Leuten spendiert. Früher hatten die Kollegen an den Standorten Michelstadt und Köln kaum etwas miteinander zu tun, erzählt er. Jetzt gebe es einen gemeinsamen Whatsapp-Chat und einen Factory-Day pro Jahr, damit jeder wisse, wie es in der Produktion zugehe. Eine Mitarbeiterin, die ihr zehnjähriges Dienstjubiläum feiert, wird von ihm umarmt. „Dann hast du ja noch den Großvater erlebt!“, ruft der Firmenchef und strahlt sie an.

Während des Produktionsrundgangs breitet Hitschler-Becker die Arme aus: „Das hier ist mein Leben“. Mit kindlicher Begeisterung schaut er in die Trommeln, in der sich knallgrüne Hitschies drehen. „Sieht das nicht schön aus?“ Auf seinem Schutzkittel steht sein Name. Sein Ziel ist es, dass auch in der nächsten Generation das Unternehmen in Familienhand bleibt. lz 40-19

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